Wochenend und Sonnenschein (Teil 2)

Auf zur letzten Runde der Landesliga. Nach eher durchwachsenem Saisonverlauf konnten wir durch einen netten Schlussspurt eine günstige Ausgangslage zaubern – zwei Punkte und 3,5 Brettpunkte Vorsprung, da konnte uns auch der zweite der Liga, St. Pauli 2, nicht mehr schocken. Und unser Konkurrent Königsspringer musste gegen Marmstorf ran, sodass wir unseren Nachbarn feste die Daumen für den Aufstieg drückten, nicht nur, weil sie es wirklich mal verdient hätten und Harburg gut in der Oberliga vertreten würden, sondern auch so ein bisschen aus Eigennutz. Umgekehrt drückten uns die Marmstorfer ebenfalls die Daumen – zwar würde ihnen ein Sieg zum „normalen Aufstieg“ reichen, aber wenn sie ihrerseits noch St. Pauli überholen könnten, wäre das der gegen alle Irgendwer-zieht-zurück-und-irgendwer-rückt-nach-und-auf-einmal-darf-Sankt-Pauli-zwei-doch-aufsteigen-Eventualitäten (und man hörte manches munkeln) gefeite sichere Aufstieg. Da legte sich also die Hamburger Schachwelt mit geballtem Harburger Willen an – welches Elbufer würde wohl das bessere sein?

Zur Ausgangslage: wir hatten es bequemer, drei Möglichkeiten gab es, die Klasse zu halten (und eine vierte in einem Patzer von Diogenes): (a) wir holen vier Punkte, (b) Marmstorf holt vier Punkte, (c) Harburg gemeinsam holt fünf Punkte. Marmstorfs Ziele waren anspruchsvoller: beide Süderelbevereine mussten gewinnen – und das mit zusammen mindestens elfkommafünf Brettpunkten. Unsere Aufstellung war an 1 Niels Jørgen gegen Michael Schütze (DWZ 2154, Elo 2226), an 2 Christoph gegen Bernd Wronn (2095/2154), an 3 Matthias gegen Sebastian Prosch (2133/2148), an 4 Dave gegen Dirk Grote (2088/2137), an 5 Andrei gegen Frank Müller (2063/2093), an 6 Marten gegen Guntram Knecht (1949/2044), an 7 Haschem gegen Torsten David (2011/2063) und an 8 Marcel gegen Marco Biermann (1942/1989).

Das klang zunächst hart, aber nach Null Sekunden Spielzeit war unser Ziel bereits erreicht: uns saßen nur sechs Leute gegenüber (1 und 4 blieben frei), Marmstorf gar nur fünf. Wenn wir nicht grob veralbert werden sollten, war alles in den berüchtigten trockenen Tüchern. Also erst einmal eine Stunde abwarten. Die konnte aber gut genutzt werden. Marmstorf machte drei Blitzremisen (Normalaufstieg gesichert) und auch Matthias erlag der Versuchung – schon mal 2 Brettpunkte sicher, selbst wenn alle noch kommen sollten. Marcel stellte halbzügig einen Bauern ein, trug das aber so überzeugend vor, dass der Gegner sich nicht traute und fiese Fesselspiele auf der langen Diagonalen fürchtete – die aber alle eine Dame gekostet hätten, also war da nichts.

Und dann führten wir 1½:½. Um wenige Minuten schaffte ich es, die kampflosen Siege zu überholen – in einer Stammvariante des Larsen verbrauchte ich nur Zeit, um „Das-kenne-ich-nicht“ zu simulieren und meinen Gegner nicht zu misstrauisch zu machen. Und dann kam ein unvermuteter taktischer Einschlag und nach 13 Zügen war es aus. (Fast die selbe Partie mit nur zwei unwichtigen Zwischenzügen hatte ich in den 80er Jahren schon einmal als Fernpartie.) Dann aber war die Stunde um, Niels Jørgen und Dave gewannen (Dave hatte damit an diesem Wochenende mit nur 9 Zügen zwei Punkte geholt – aber ganz befriedigend war das natürlich nicht), und auch Marmstorf hatte jetzt 4½ Brettpunkte. Und getreu unserem Vereinsmotto „Olé, oléoléolé, oléééé, oléééééééééééé!“ war die Klasse gehalten.

Was noch spannendes schreiben? Alle Blicke gingen nun nach Marmstorf. Acht Brettpunkte waren schon da, sechs Partien liefen noch, dreieinhalb Brettpunkte mussten für Harburg her. Okay, fünf Partien liefen noch, drei Brettpunkte mussten her, denn Marcel einigte sich auch auf Remis. Schauen wir mal: Christoph, alleine in seiner Reihe, hatte einen gesunden Mehrbauern, und die Stellung rief irgendwie nach Läuferopfer und Matt – aber geht das und ist man gewillt in sehr guter Stellung das Risiko einzugehen? Andrei hatte zwei Figuren gegen Turm und Bauern, der Gegner konnte aber am Königsflügel fiese reinschielen, und Andreis Gegenspiel am Damenflügel wäre nicht schnell genug, also erst einmal verteidigen. Haschem stand sehr passiv, die Figuren liefen irgendwie alle nicht so recht nach vorne, und wenn doch, wurden sie zurückgebeten. Jeronimo stand aktiv, das könnte was werden. Matthias Peschke hatte allerdings zwar eine Qualität gegen Bauern mehr, aber hilfe sah das platt aus, wie der Gegner da in der Struktur drinstand, das würde sehr, sehr schwer zu halten sein. In der Summe also zwei eher gute, zwei eher schlechte und eine unklare (aber „mussdochgehen“) Stellung, die die drei Punkte zaubern sollten.

Und es ließ sich gut an: Christoph ließ alles taktische aus, spielte sicher und holte einen zweiten Bauern mit Übergang ins Endspiel, da sollte nichts mehr anbrennen. Jeronimo hatte als ich von einem Plausch draußen (Sauerstoff!) wieder reinkam ein aus 30 Meter Entfernung sichtbares „Ich-stehe-sehr-sehr-gut“-Gesicht, und der Gegner gab dann auch ob des totalen taktischen Zusammenbruchs seiner Stellung kurz darauf auf. Matthias Peschke hingegen stand zunehmend weniger befriedigend in meinen Augen, Andrei geriet auf einmal doch an unerwarteter Stelle unter Extradruck und Haschem fiel auseinander und gab dann auch auf. Noch zwei aus drei benötigt. Christoph hingegen gab beide Bauern – aber für ein Bauernendspiel mit schwarzem König aus dem Quadrat. Matthias Peschke und Andrei mussten also zusammen einen Punkt für den Aufstieg holen. Andrei ließ zunächst seine zuvor klar bessere Zeit bis auf zwei Minuten herunterlaufen, wahrscheinlich um an alte erfolgreiche Zeitnotphasen anknüpfen zu können, fand dann eine Vereinfachung und leitete in ein für den Laien zumindest klar angenehmer spielbar scheinendes Endspiel über, der Akku war aber leer und Andrei daher mit Remis einverstanden. Nun musste also Matthias Peschke den entscheidenden halben für „jetzt ist fraglos alles komplett sicher“ holen. Und irgendwie war da komisches passiert. Auf einmal hatte er KTSB gegen KTB – wie auch immer das passiert war, aber so eine Stellung im Zweifel remis geben zu dürfen ist ja ganz angenehm. Man kann sie aber natürlich auch gewinnen, was Matthias letztlich auch tat.

Ziel also übererfüllt, Marmstorf ist in jedem Fall aufgestiegen – sollen die in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern doch machen, was sie wollen – und unsere allerherzlichsten Glückwünsche gehen an den Feuerteich! (Auch wenn wir das Derby vermissen werden) Wir hingegen sind vom zwischenzeitlich letzten Tabellenplatz und immer noch Abstiegsplatz im Februar tatsächlich mit am Ende positiver Bilanz auf Platz 5 in der oberen Hälfte gelandet. Die Hamburger haben also erfahren müssen, was es heißt, sich mit denen vom richtigen Elbufer anzulegen! Okay, wir hatten am Abschlusswochenende sehr viel Glück durch 3 kampflose Punkte, aber zum einen war es nicht unsere Schuld, und zum anderen haben wir auch am Brett drei Mannschaftspunkte gegen deutlich stärkere Gegner geholt (3½:3½ und 3½:2½), also so entscheidend war es nicht und damit durchaus auch verdient.

Und die Bedienung im Schachcafé brachte heute auch tatsächlich das, was wir bestellt hatten, und rechnete korrekt ab. Schönes Ende vom Wochenende.

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