Kein Heimvorteil

Am letzten Sonntag kam nun nach den Umständen der letzten Wochen Marmstorf doch noch zum Spiel der ersten Runde zu uns. Zunächst einmal einen herzlichen Dank an die Schachfreunde, dass sie unserem Wunsch nach Verlegung angesichts Matthias‘ Ausfalls entsprochen haben. Unglücklicherweise war nun der neue Termin für sie etwas unpassend und so saßen uns sieben Marmstorfer gegenüber, die immerhin den Weg fanden. Denn, um die uninspirierte Überschrift gleich zu erläutern, für Nordelbier wäre es angesichts des gesperrten Tunnels so eine Sache gewesen und man hätte ja 8:0 kampflos gegen nach einer Minute zu spät hineinkommende Gegner haben können. Aber es hat nicht sollen sein. Was sein hat sollen, sind allerdings die von Hauke the Hauke protokollierten Partieansetzungen:

Christoph Kuberczyk (2292)-Jens Ove
Niels Jørgen-Jeronimo Hawellek (2257)
Jens Diekmann (2064)-Adesh
Alf-Tobias Nichtambrettmüller (egal)
Friedrich König (1917)-Marten
Tobias-Matthias Peschke (2025)
Peter Anderberg (1935)-Haschem
Said-Björn Undritz (1888)

Dem Kenner der südelbischen Schachszene springen gleich mehrere Dinge ins Auge: Brett 1 von Marmstorf hatte doch dereinst bei der Konkurrenz gespielt. Brett 4 von Diagonale hatte ausgerechnet in seiner ersten Partie eine längere Anfahrt für einen kampflosen Punkt. Und die beiden an Brett 2 hatten sich auch schon des öfteren gesehen. Die letzten beiden Rätsel lösten sich als erstes, da Jero und NJ eh historisch einem gewissen Ergebnis mehr zugetan waren als den beiden anderen, unterschrieben sie es schon einmal und Dr. Hawellek spielte eine Partie unter Turnierbedingungen gegen Alf, damit er nicht ganz umsonst kam.

Der Kenner der südelbischen Schachszene wird obendrein bemerkt haben, dass ebenjender Jeronimo noch am Sonntag Abend in rekommendabler Geschwindigkeit einen lesenswerten Bericht zum Kampf auf der Marmstorfer Homepage eingestellt hat und das Folgende dementsprechend keine neuen Informationen enthalten wird. Daher senke ich jetzt das Niveau für die noch mitlesenden Nicht-Harburger.

Es stand also de facto 1,5:0,5 für das Heimteam – de facto deswegen, weil Alfs Sieg offiziell natürlich erst nach einer Stunde stattfand. Und als er eingetragen werden konnte, stand es de facto leider schon 1,5:1,5 – Haschem war seine Eröffnung leider komplett missglückt, außer Wenigerfigur stand auch der König offen im Zentrum bei besser entwickeltem Gegner. Er würde zwar noch ein paar Züge machen, aber um es vorwegzunehmen: Peter ließ dabei nicht mehr viel anbrennen, und mit „nicht mehr viel“ ist hier „gar nichts“ gemeint.

An Brett 1 hingegen zeigte sich der Neu-Marmstorfer Kuberczyk hingegen überrascht, dass dieser Jan Ole oder so die Eröffnung doch recht vogelwild behandelte. Tja, hätte er zuvor schon einmal einen Kampf der Diagonale gesehen, dann hätte er sich moralisch darauf einstellen können. Wobei zugegeben dem Laien die Stellung doch angenehmer für den Weißen schien. Wie überhaupt die Marmstorfer besser aus den Startlöchern gekommen waren – Tobias konnte einen Bauern nicht verteidigen, auch bei Said ging einer flöten („Freude schöner Götterfunken“ interpretiert in Cis-Moll), während bei Adesh und Marten noch nicht viel passiert schien, auch wenn das Londoner Chaos als freie Interpretation des Londoner Systems an Brett 5 eine unübliche Struktur hatte.

Brett 5 sollte sich auch – nach Haschems Partieende mit dem leider zu erwartenden Ergebnis – als nächstes fertig werden. Die weiße Struktur mit Doppelbauern auf c und f verhieß ein starkes Zentrum bei potenziellen Endspielvorteilen, während Schwarz etwas manövrieren müsste, um Spiel zu bekommen. Also einigte man sich zum Entsetzen der besseren anwesenden Schachspieler auf Remis, da beide eine zwingende Zugfolge sahen, nach der eine Komplettschachtel entstehen könnte und beide sich einfach hinstellen könnten „Los, mach doch was, komm doch“. Wie Jeronimo sagte, konnte Weiß das problemlos auf Gewinn spielen, da die Stellung klar besser ist. Oder, um es mit Hauke zu formulieren, Schwarz steht klar besser und sollte sorglos versuchen, zu gewinnen. Wenigstens Stockfish war einverstanden mit dem Remis.

Aber ein langweiliger halber Punkt war genau das, was die Recken der Diagonale benötigten, um Oberwasser zu bekommen. Zumindest relativ zu dem Unterwasser, das zuvor herrschte. Said konnte in ein zwar schwierig zu haltendes, aber eben auch schwierig für den Gegner zu gewinnendes Turmendspiel mit Wenigerbauern überleiten, statt einfach nur schwach zu stehen. Tobias gewann seinen Bauern zurück, wobei allerdings „zurück“ auch das Kommando an Teile seiner Figuren war, irgendwas ist ja immer. Adesh holte sich die offene Linie. Und an Brett 1 herrschte inzwischen das Chaos, aber statt klar besser für Christoph zu scheinen, schien es nun ein Spiel auf vier Ergebnisse, wobei das vierte „Herzinfarkt der Zuschauer“ war. Vielleicht hilfreich war Christophs Zeit – da war nicht mehr viel, er fing an von den 30 Sekunden zu leben, wie allerdings Tobias an Brett 6 in komplexer Stellung auch.

Brett 3 sollte nun – nach allerdings gewisser zeitlicher Verzögerung – ein Händeschütteln erhalten. Offene Linie ist ja schön, aber wenn man damit nichts machen kann und Springer- gegen Läuferpaar perspektivisch im Endspiel halten soll, ist ein Remis vielleicht angemessen, und Adesh verfiel nach vormaligem Ablehnen doch der Option. 2,5:2,5.

Nun erwies es sich für Tobias als schwierig, seinen doch etwas unkoordinierten Figurenhaufen (der Springer auf d1 hielt nicht nur den f2 fest, sondern gemeinsam mit dem Ta2 auch den b2-Bauern) zu optimieren, sodass der inzwischen sogar Mehrbauer wohl lange auf sein Endspiel würde warten müssen. Und so ging Tobias auf einen Dauerschachversuch, der allerdings nicht gelingen sollte, und musste dann die Uhr anhalten, während Beobachter noch eine letzte Chance in dem sowieso stets unterschätzten Zug „b3“ sahen. Wobei Stockfish dazu auch nur humorlos „-8,50“ sagt, eventuell war die Stellung einfach nicht so gut.

Aber wenn knappe Zeit ein Problem sein kann, schauen wir doch einmal auf Brett 1. Hier hatte sich Jens Ove weitgehend freigespielt, nur der weiße Freibauer auf d6 war im Übergang von Mittel- zu Endspiel etwas sehr störend, während andererseits der offene weiße König belagerbar war, sodass viele seiner Figuren sich um ihn scharen mussten. Christoph dachte sich nun, dass er mit einem Opfer eines nicht beim König auf seinem Flügel stehenden, sondern am anderen Ende des Brettes auf a verweilenden Läufers, ebenjenen Freibauern mobilisieren könnte und durch Ablenkung der schwarzen Kräfte zumindest die Figur zurückbekäme, und schlug trotz Fesselung einen Bauern. Das Konzept schien mir auch überzeugend, aber als ich kurz darauf wieder am Brett stand, war die Figur nicht zurückgekehrt. Und als sich dann die Reihen etwas lichteten, war sie es immer noch nicht, und eine Mehrfigur im Turmendspiel wurde Jens Ove dann geglaubt, also Ausgleich.

Beim Stand von 3,5:3,5 kam es also auf Said und sein Wenigerbauer-Turmendspiel an. Nun gibt es die Möglichkeit, dass ein Karsten Müller an der einen oder anderen Stelle für beide Seiten hätte Verbesserungen finden können. Und damit meine ich nicht den Autor von Büchern wie „Fundamental Chess Endgames“, sondern Karsten Müller aus Marburg, der auch immer wieder mal gerne bei einem Kampf in der Kreisliga aushilft, wenn die Mannschaft nicht komplett ist. Jedenfalls wankte die Stellungsbewertung ein wenig hin und her. Said wechselte dann irgendwann statt Züge zu wiederholen, auf die Hoffnung mit Bauerngewinnen Gegendrohungen zu schaffen, aber die Tempi fehlten dann am Ende und Schwarz bekam seine Dame bei Turmtausch. Einzig die beiden vom schwarzen König weit entfernten verbundenen Freibauern gaben noch etwas Hoffnung. Allerdings war am Ende die Dame dann doch zu stark, wenngleich weiterhin nicht jeder Zug forciert schien, und nach langem Kampf war dann doch nichts mehr zu machen.

Was machen eigentlich Alf und Jeronimo? Nun, sie spielen noch immer eine in der Summe gehaltvolle Partie mit spannenden strukturellen Motiven. Letztlich kam es im Endspiel aber dann zu einer kurzen Präsentation des Vorteils des Läufers über den Springer und Favorit Jeronimo konnte sich über 1,5 Punkte freuen, während Alf heute nur 1,0 erzielte. Danke aber in jedem Fall fürs Kommen, auch wenn es ein merkwürdsamer erster Einsatz war.

Am Ende also ein hochverdienter 4,5:3,5-Sieg der sieben Marmstorfer, die zwar nicht nominell aber brettuell heute klar die besseren waren. Wobei grundsätzlich natürlich kein anderes Ergebnis zur Debatte stand, so wie wir gegen Union stets 4:4 spielen, so gibt es gegen Marmstorf seit wir in die Landesliga aufgestiegen sind auch nur dieses eine Ergebnis – mit stets wechselndem Sieger, und letztes Jahr waren wir halt dran. In der Summe war also alles im Rahmen, dennoch wären es natürlich feine Punkte für den Klassenerhalt in der schwierigen Lage dieses Jahr gewesen. Es gibt aber keinen Grund zum Zweifel, dass wir die nicht noch später werden holen können. Alleine das Dubrovnik musste am Ende auf uns verzichten – wurde dafür aber durch die Gäste entschädigt, die sich hier füllten.

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