Erstens kommt es anders, DIA-zweitens als man denkt

Wir saßen rein zufällig, mit den Fingern auf den Tisch trommelnd, bei Haschem herum, als uns endlich der vollkommen unerwartete Anruf erreichte, ob wir nicht in die Stadtliga nachrücken möchten. Unvorbereitet, wie wir waren, kamen wir ins Überlegen. Das würde hart. Und außerdem: Stadtliga? War das nicht das böse Wort, das die erste Mannschaft nicht hören wollte? Und nun sollten wir das tun, wofür sich die werten Damen und Herren von Dia I zu schade sind? Andererseits hatten wir ja auch auf den Aufstieg gespielt, als sich die Gelegenheit ergab, waren erst knapp dem HSK unterlegen im Kampf um Platz 1, dann knapp dem HSK unterlegen im Kampf um den besten Zweitplatzierten. Irgendwie scheint es in Hamburg viel HSK zu geben. Aber letztlich: wer Stadtliga spielt, kann nicht in die Kreisliga absteigen. Also schnell ein Saisonziel formuliert – 10 Brettpunkte, gut aussehen – und zugesagt. Die Stadtligaproblematik der in diesem Jahr vermutlich mindestens drei Absteiger pro Staffel ändert ja für den Tabellenzehnten nichts.

Um es vorwegzunehmen, unser Saisonziel haben wir noch nicht zu 100% erreicht. Nachdem jedoch die erste Mannschaft über 20 Jahre brauchte, um überhaupt in die Stadtliga zu gelangen, kann man von uns Reingestolperten auch keine Wunder erwarten. Aber außer gut auszusehen waren wir auch hochmotiviert: endlich einfach Schach spielen, im Normalfall wird es nicht um den Kampf gehen, und als Außenseiter kann man einfach mal schauen, was so auf uns zu kommt. Wenn alle Stricke reißen, treten wir ihnen einfach die Bretter kaputt. Ach ne, war ja Heimkampf.

Als erstes auf uns zu kam eine mehr als erfahrene Mannschaft aus Niendorf, was, wie andere Vereine schon feststellten, im Norden liegt. Die klassische Frage zu Niendorf ist natürlich „Wo ist Heinz?“, aber die beantwortete sich mit „in der zweiten Mannschaft“ – und Niendorf I kam in Bestbesetzung zu uns, während wir den Joker in Form von Det the Lef für die landesligagesperrten Daniel und Etienne zogen. Detlef hat ja früher schon mal ganz gut gespielt. Das alles führte zu folgenden Partien:

1) Michael Raddatz (1991)-Marten
2) Haschem-Jan Westphal (1873)
3) Klaus-Peter Schneider (1837)-Andrei
4) Marcel-Gerd Putzbach (1878)
5) Eggert Lindschau (1815)-Tobias
6) Dave-Kurt Krotofil (1785)
7) Matthias Weiß (1767)-Rainer L
Detlef-Erhard Pohl (1879)

Nominell waren wir also an jedem Einzelbrett schwächer, im Schnitt um 98 Punkte. Aber das stand ja zu erwarten, war eher harmloser als erwartet. Und so stand es nach einer Stunde auch eigentlich ganz vertrauenerweckend, an kaum einen Brett war Besonderes passiert (zumindest nicht auf den ersten Blick, was spätere Analysen an Bewertungsschwankungen ergaben, verschweigen wir besser), nur Marcel hatte offenbar Alpha Zero und ein GM-Beraterteam in seinem Bart versteckt und hatte einen Mehrbauern bei auch ansonsten völlig problemloser Stellung. Auch andere Stellungen waren angenehm, insbesondere die Weißpartien sahen alle sehr spielbar aus. Wir würden kämpfen können.

Kämpfen musste aber zunächst einmal Gerd, denn Marcel stiefelte sein Spiel souverän herunter, aktivierte sich, aus einem Mehrbauern wurden zwei, dann musste Schwarz den Springer geben, um eine Umwandlung zu verhindern, zum Ausgleich räumte Marcel noch ein paar Bauern mehr ab. Der Beobachter rechnete schon fast mit einem Weißsieg, spätestens, als dann trotz aller Gegenwehr eine neue Dame entstand, und wenig später war es dann auch matt. 1:0 um 21:35h, unsere first ever Stadtligaführung durch den Jüngsten.

Lassen wir einmal einen Blick über die anderen Bretter schweifen: Marten hatte ein Motiv übersehen, dann falsch gekontert, und musste mit Ta6 bei Ba5, b6, b7 einsehen, etwas beengt zu stehen. Bei Haschem drohte die Partie zu verflachen, bei Andrei hingegen bekam er Gegenspiel für eine zwischenzeitlich etwas merkwürdige Struktur und nach Reparaturarbeiten sah das alles ganz ordentlich aus. Daves sehr schön aktive Sizistellung hingegen fing an, etwas merkzuwürdeln, und ein Bauer würde wohl umfallen, ein Endspiel mit Materialnachteil bahnte sich an. Tobias, Rainer und Detlef spielten solide Partien, ohne dass es für mich nach Vorteil für eine Seite aussah, und auch Erhard Pohl äußerte sich dahingehend – er würde ja gerne Remis machen, aber angesichts der Mannschaftskampfsituation ließe er es lieber.

Gegen halb Elf hatten dann zunächst auch erst Haschem, dann Andrei ihre Partien remis gegeben, zwischendurch war sicher mal mehr, mal weniger drin, aber speziell beim Mannschaftsführer passierte in der Tat recht wenig. Viel passiert war hingegen an Brett 1 – Michael opferte korrekt eine Qualität für einen Bauerndurchlauf, setzte aber falsch fort, sodass Marten auf einmal mit T2B gegen S4B wieder mitspielen durfte, und sich auch motiviert aufmachte, den vermeintlichen Durchmarschbauern aufzuhalten – war aber ein langer Königsweg von g8 nach b7. Rainer schien inzwischen auch aktiv zu stehen, auch wenn man (ich) nichts Konkretes sah, so waren seine Figuren einfach vorwärtsorientierter als die weißen Klötze positioniert. Dave hingegen folgte der Regel „Endspiele mit gleichen Läufern sind immer Remis“ und demonstrierte eine Läuferschaukel, gegen die Kurt erst einmal etwas finden musste. Detlef sah währenddessen einfach nicht ein, sich seinem 300 Punkte stärkeren Gegner gegenüber zu entblößen, und spielte solide, ebenso Tobias, und so wurden auch gegen Elf beide Partien ebenfalls remis. Also 3:2, eine eher bessere (Rainer), eine eher schlechtere (Dave), eine eher unklare (Marten) Partie, dat har man leger warn kunt.

Anstelle schlechter zu werden, wurde es hingegen besser: Martens König kam von b7 zurück nach f8, um die Bauern zu decken und endlich dem Turm Spielraum zu geben, und Michael musste immer mehr Zugeständnisse machen, um seinen König überhaupt gen Königsflügel zu bekommen, war er doch abgeschnitten. Dave verteidigte seinen Wenigerbauern zusehends vertrauenerweckend, sodass Matthias Weiß dachte, sich gegen Rainer auch einen erlauben zu können. Der entscheidende Unterschied jedoch: Dave machte Remis, Rainer hingegen gewann noch ein zweites Bäuerli, und nachdem Marten an Brett 1 inzwischen alle Bauern verzehrt hatte und nun mit TBB gegen S punkten konnte, durfte Rainer zum Abschluss als Held zum 5½:2½ einnetzen.

Ein Auftakt nach Maß. Ein Mannschaftspunkt am Saisonende wäre schon gut gewesen, deren zwei am Saisonanfang stellen zwar noch nicht den Aufstieg dar (den wir aus logistischen Gründen eh ablehnen müssten, das nur zur Beruhigung der Konkurrenz), aber sie zeigen, dass wir in der Stadtliga mitspielen können. Und mehr noch zeigten es die Partien: alle 8 spielten über durchschnittlich 3:45 Stunden solides Schach ohne dass es einen einzigen Einbruch, einen einzigen Riesenpatzer gegeben hätte (außer eventuell La7 am ersten Brett). Zur Belohnung durfte sich jeder ein kleines DWZ-Plus mit nach Hause nehmen, auch wenn es bei Dave im Nachkommabereich lag.

All das waren unsere Gedanken am Donnerstag Abend. Doch am Freitag Morgen sah alles ganz anders aus. Dieses ist die traurige Geschichte, wie Rainer L. (Name der Redaktion bekannt) in wenigen Stunden vom Helden zum Vereinsfeind Nummer 1 wurde. Denn als wir morgens stolz wie Oskar die Homepage des Verbandes aufriefen, was sahen unsere entzündeten Augen? 4:4 sahen sie. Die letzten beiden Bretter verloren gewertet sahen sie. Weil Rainer erste Runde Landesliga gespielt hatte, so stand es da. Und das offenkundig auch noch für einen ganz anderen Verein, denn für uns war es nicht, da war er nur anwesend um den Schiedsrichter auszuzahlen. Rainer beteuerte seine Unschuld, bot ein unglaubwürdiges Alibi seiner Frau, mit Sicherheit Fake News, aber von solchen klassischen Schutzbehauptungen notorischer Landesligaspieler lassen sich unsere Vereinsjuristen nicht stoppen – hier bestand Verdunkelungs- und Fluchtgefahr, obendrein ist Rainer unser Kassier und kann mit der Vereinskasse durchbrennen, für das HVV-Ticket zum Flughafen reicht das locker, Quito oder Montevideo, Hauptsache Brasilien. Ob die Tatsache, dass inzwischen die Eintragung beim Verband wieder gestrichen wurde und das 5½ wieder da steht (nach Bestechung?) das verlorengegangene Vertrauen wiederherstellen kann, wird die Zukunft zeigen müssen. Bis dahin feiern wir aber alle, inklusive Rainer, den mehr als gelungenen Saisonauftakt und das möglicherweise beste Spiel einer Dia II seit Jahren.

Disclaimer: manche Formulierungen wurden aus alten Berichten von südelbisch gelegenen Vereinen und dem nichtöffentlichen Mannschaftschat der Mannschaft Diagonale-Harburg II übernommen. Gemäß eines Urteils des Schachmannschaftskampfberichtgerichts Neuallermöhe-Ost vom 29.2.1804 distanziert sich daher der Verfasser ausdrücklich von allem, was hier steht, und will damit nichts zu tun haben.

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