Grün ist die Tanne, die Tanne ist grün, aber weiß sind die Damen die verglühn

Als unser Schachwart im Vorfeld der Zweitrundenbegegnung Diagonale-Weiße Dame in den Mannschaftswhatsappchat die Zeilen „As I walk through the valley of the shadow of death I take a look at my life and realize there’s nothin‘ left“ tastelte, da machten sich nur die Uninitiierten Gedanken ob seines Geisteszustandes – wir anderen haben ja die Hoffnung bereits aufgegeben. Aber die Tauglichkeit merkwürdiger 90er-Jahre-Filmmusiken zur Begleitung des Schachsports darf durchaus in Frage gestellt werden, weswegen extra für Marcel dieser Bericht von Kultur in Form deutscher Volksmusik handeln soll.

Weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Kulturbeflissenheit beinhalteten die Feststellung, dass außer Gregor „Griechischer Wein“ Spieß tatsächlich das komplette Who-is-Who der Alten Forst anwesend würde sein können. Die stärkste Diagonale-Acht seit Menschengedenken, oder zumindest seit Matthias sich erinnert, und Matthias hat eine Bescheinigung, dass er Mensch ist, sollte spielen, im Schnitt knapp über 21 Jahre und über 40 Hekto-DWZ oder auch anders herum. Woraus mehreres folgte: es waren Däninnen und Dänen zu behausen und der Berichteschreiberling würde einen Familiensonntag machen können und ungetrübt vom tatsächlichen Spielverlauf darlegen, was passierte. Was ebenfalls der schachlichen Qualität des Artikels nur gut tun kann.

Fangen wir mit den Jüten an. Hier gab es Missverständnisse, wer den Gastgeber spielen würde, und so wurde für Esmat und Thomine ein Zimmer in der „Grünen Tanne“ angemietet, womit schon einmal die Überschrift erklärt wäre, wobei die geplanten Verglühungen sich nicht auf Esmat und Thomine, sondern auf die Gegnerschaft aus der Gustav-Falke-Straße beziehen sollte. Außerdem meldete Niels Jørgen Unwohlsein an und wollte erst am Spieltag selbst erscheinen. Wer sich jetzt an eine ähnliche Situation aus der Frühadventszeit des Vorjahres erinnert fühlte, der sei beruhigt: der Berichteschreiber wurde nicht mitten in der Nacht strunzbesoffen wachgeklingelt, dass er spielen sollte, sondern Niels Jørgen erholte sich, kam, sah und spielte.

Außerdem wurde zur Vorbereitung für den Sonnabendabend ein Tisch in einem oberligatauglichen Restaurant angemietet – das La Granja ist eingeweihten Kreisen zu Folge Stammlokal des Erbfeindes SK Marmstorf – und die Frage aufgeworfen, ob es sich nun „Granja“, „Grancha“ oder „Grantscha“ ausspräche (laut Vereinsspanier ist die zweite Variante die korrekte). Es bewährte sich, manch unschuldiges Lämmlein wurde versteakt, aber auch ein Lachs musste dran glauben, und während draußen „Herwart“ sein Unwesen trieb, war allen Anwesenden klar: ein Sieg müsste her.

Dieses Gefühl wurde nur bestärkt, als Schiedsrichter Martin Bierwald die Aufstellungen entgegennahm. Christoph gegen René Mandelbaum (2070 DWZ/2097 Elo), Niels Jørgen gegen Lars Schiele (2015/2082), Christian gegen Christian Purniel Umpierre (1957/1986), Matthias gegen Sebastian Kuhle (1940/1998). Esmat gegen Gerrit Hourigan (1917/1884), Thomine gegen Georg Lansky (1929/1909), Martin gegen Florian Popist (1866/1862) und Daniel gegen Daniel Lam (1877/1929). Zwar waren die Weißen Damen damit an den Brettern 3 und 8 namentlich gleich stark, aber nach Zahlen waren wir nicht nur wie üblich an 1-4 favorisiert, sondern diesesmal auch an 5-8. Ein seltenes Gefühl, sollte da ein Sieg drin sein?

Nun, als ich dann nach einem Familienkaffeetrinken in das Spiellokal kam, sah ich nicht nur Rainer L. und Gerd als Fans (später verstärkt durch Tobias plus Tochter), sondern auch, dass die ersten Partien bereits beendet waren. Die Christiane und auch Niels Jørgen samt Lars hatten alle je einen halben Punkt geholt. Und während CZ später fluchend gesehen wurde – sein Handy sah sich die Partie an und wollte sofort Pokémon Go und Candy Crush als Alternativbeschäftigung installieren – ob der ausgelassenen Möglichkeiten, so blieb NJ zu friedlich mit einer Variation zum Thema Pirtsch-Uffimtzeff im Anzug (aber ohne Schlips) und da Lars nicht zu viel Schützenhilfe leisten wollte, auch hier schiedlich friedlich. In der Zwischenzeit sang aber Daniel an Brett 8 sein Lied:

Dat du mien Peerchen büst,
dat du wohl weest,
slag op e5
slag op d7
dat geiht gut meest.

Und so ging es auch heute gut, zwei Mehrbauern nach gegnerischem Taktiküberseher wurden durchs Spiel gezogen. Vielleicht wäre es schneller gegangen, aber der Hoppmeister entschied sich konsequent gegen Varianten mit Asymmetrien, wofür ich sogar ein gewisses Verständnis aufbringen konnte, gab sogar einen Bauern zurück, aber dann fiel schwarz komplett um. 2:1 für die Diagonale. Auch Esmat sang inzwischen sehr süddänisch

Kein besser Zug in dieser Zeit,
Txf3 und weiß steht breit,
das kost‘ ne Qualle,
doch weiß ist alle
und spürt nur Leid.

denn der Angriff gegen den kurzrochierten König gab zunächst einen weiteren Bauern, dann eine weitere Figur auf das kapitalistisch gezählte Materialkonto. Das war zwar asymmetrisch, aber wohl nicht ganz schlecht. Matthias nutzte die Gelegenheit, da sich sein Gegner ob meines Gesangs versehentlich nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen zuhielt, positionierte auf dem Brett geschickt um, und nichts war mehr zu holen, 3:1 für die Wiener Sängerknaben. Die hohen Noten nicht ganz so gut trafen nun Christoph und Thomine, aber ganz schief war es auch nicht, somit zwei miese Rehe und der neue Stand von 4:2. Wobei Esmat nun ihre Zwei-Figuren-und-Bauern-gegen-Turm-Partie mindestens remisieren sollte, denn Martin stand zwar materiell ausgeglichen, aber mit sehr schlechtem Läufer gegen sehr guten Springer, und als Florian dann mit einem Räumungsopfer den Königseinbruch erwzingen konnte, war Schluss mit lustig und es stand 4:3. Und auch Gerrit musste irgendwann einsehen, dass er diese Partie nicht mehr würde gewinnen können, und Esmat ergriff die ausgestreckte Hand zum ersten Saisonsieg der Diagonale.

Bei der Nachspeisung im Dubrovnik (die Frage, ob sich das nun „Dubrownigg“, „Dubroffnikk“ oder „Krk“ ausspricht, muss mangels Vereinskroaten vorerst offen bleiben) wurde darob bilanziert, dass das (1) ein schöner Sieg war, der (2) natürlich nach Zahlen etwas zu knapp ausfiel, wobei es (3) nicht so knapp war, wie es den Anschein hatte, weil zum Beispiel (4) Esmat ihre Stellung durchaus auch auf Sieg statt Remis hätte spielen können oder (5) Christian mal die Stellung verstehen und gewinnen kann. Letzteres scheint mir zwar aus der Welt der Fabeln zu stammen, aber letztlich springt das gute Pferd eben nur so hoch wie es muss, und ein anderer Christian (Zickelbein) nannte 4½ mal das „Diagonale-Standardergebnis“. Und so ist unser Plan jetzt, noch sieben Male standard zu spielen und dann zu sehen, ob es zum Klassenerhalt reicht.

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