Es muss ja nicht immer Hitchcock sein

Spannung verheißt die Tabellensituation der Landesliga Hamburg derzeit nur unten – während oben Königsspringer II einsam seine Kreise zieht, können 5 Mannschaften noch der Zombie-Apokalypse zum Opfer fallen, und wir sind mittendrin. Nun ist Spannung sicherlich etwas schönes, Bücher, Filme aber auch Schach wären ganz ohne Spannung nur halb so schön. Nun gibt es aber gute und schlechte Spannung, und ich persönlich bin eh kein Fan der Zombiefilmwelle, also können wir nicht einfach mal entspannt gewinnen? Schon, das können wir, das zeigen wir immer wieder beim Training. Aber klappt das auch mit Gegner?

Kommen wir also zunächst zum technischen Teil, den mit den angesprochenen Gegnern, hier die Aufstellungen: Niels Jorgen gegen Sven Leiser (2109 DWZ und 2176 Elo), Christoph gegen Thomas Wiltafsky (2117/2169), Matthias gegen Marcus Möhrmann (2032/2062), Martin gegen Gregor Seifer (1979/1851), Andrei gegen Peter Knops (1909/2026), Marten gegen Marc Lohse (1918/1965), Daniel gegen Max Hort (1822/1893), Haschem gegen Christian Melde (1943/2007), sowie Grippe gegen Schiri Hauke Reddmann (2235/2293). In der Summe also, zum siebenten Mal, waren die Diagonalisten niedriger bepunktet. Aber zum einen nicht so klar, wie sonst oft, zum zweiten war ein Sieg ja alternativlos und zum dritten sahen wir am neunten Brett, wie Außenseiter Grippe den Favoriten Hauke schon vor Partiebeginn auseinanderzunehmen drohte. Also frohen Muts an die Bretter.

Und zumindest persönlich war ich schon einmal frohen Muts, denn erstmalig seit Jonny uns trainiert saß mir die erwartete Nase gegenüber. Wich aber im zweiten Zuge ab, sodass ich selber andenken sollte und die spannende Eröffnungsphase der anderen Bretter verpassen sollte. Und das war gar nicht einmal so unschade. Denn als ich herumblicken konnte, sahen meine Augen gar im Grunde erfreuliches. Meine eigene Partie gefiel mir (im Gegensatz zu meinen Mannschaftskollegen) gut, mein Damenflügelsturm schaffte Platz für das Läuferpaar und halboffene Linien für die Schwerklötze, während der Gegenangriff am Königsflügel nicht unbedrohlich schien, aber viele Tempi fraß. Niels Jørgen stand nielsjørgig, alles ausgeglichen, beide Seiten machen Züge, sowas ist traditionell gewonnen. Christoph hatte bereits eine Totaloffensive gegen den unrochierten schwarzen König mit Drohung der Öffnung der schwerfigurenbestückten e-Linie aufgefahren, wenn der Herr Wiltafsky in Wahrheit nicht Houdini oder mindestens Copperfield heißt, dann wird das ein frühes 1:0. Matthias konnte den weißen Anzugsvorteil überkompensieren und stand inzwischen klar aktiver. Martins Stellung schien auf den ersten Blick normal und okay, ein zweiter Blick hätte dem zwei Mal blickenden Berichterstatter aber eine potenzielle Bauernwalze gegen arme schwarze Königsflügelfiguren offenbart, gegen die man auch erst einmal Ideen braucht. Andrei stand eher schwarz, hier hatte sich gegenüber der Ausgangssituation nicht viel an der Bewertung geändert, während Daniel analog Matthias mit einem Freistilkeilhack eine initiative Stellung erreichte. Haschem hingegen machte mal die Rochadedose des schwarzen auf und stellte Springer und Dame in Wartestellung – da musste doch was gehen.

Also in der Tat sechs eher bis deutlich bessere Stellungen plus ein Niels Jørgen. Wie sollte da nun Spannung aufkommen? Nicht, dass wir Spannung bräuchten, einfach nur gewinnen wäre ja auch vertretbar, lautet unser Vereinsmotto doch „Non tamen oportet quod gallus crispi“. Aber um der Chronistenpflicht genüge zu tun, könnte ich ja einfach erwähnen, wie Matthias mit einem vierzügigen Springerrundritt einfach mal vier Tempi weggab, das ist faustregelig mehr als ein Bauer, während Daniel seine komische gute Stellung in eine nur komische umwandelte. Aber gegen Königsspringer II waren wir zu diesem Zeitpunkt ähnlich optimistisch, und so richtig geklappt hatte das damals ja nicht. Das ganze könnte sich also noch einmal spannender gestalten.

Oder hätte spannender gestalten können, denn wem will ich hier etwas vormachen? Silke, die netterweise die Küche heute übernahm und gestern in Sachen Muffins schon vorbereitete (Dankedankedanke) bestimmt nicht, die verfolgte das mit. Eher schon Gerd, der heute nur kurz vorbeischaute um Matthias die HSV-Dauerkarte abzunehmen, oder Marcel, Rainer L., Dave und Rainer J., die zwar ebenfalls da waren, aber nicht in dieser Phase. Ich könnte auch sonstigen Lesern etwas vormachen, aber jedem vor Ort war klar: hier war es heute wenig spannend, denn vor den obigen Negativentwicklungen passierte zu viel anderes.

Christoph spielte in der Tat nur gegen einen nichtmagiebegabten Menschen, der genau so wegflog, wie es den Anschein hatte. 1:0. Haschem brauchte etwas länger, aber spielte konsequent vorwärts, und so stand es 2:0. Andrei hatte ausnahmsweise mal Glück, in einer normalen Stellung verzog sich der Gegner um ein Feld, was einen Turm kostete, 3:0 nach vielleicht gerade mal zwei Stunden. Martins Bauernwalze kam nicht wie gedacht ins Rollen – weil er mit einer schönen Taktik lieber eine Figur gewann. Zunächst gegen 2 Bauern, dann gegen 1 Bauern, dann gegen 0 Bauern, dann 4:0. Ich konnte meinen Gegner zum Angriffsabbruch zwingen, stand mit zwei Türmen und Läufern mitten in seiner Stellung und gewann einen Bauern, noch einen Bauern und dann die Qualle, also 5:0. Okay, inzwischen waren über 4 Stunden gespielt, aber die Zeit dazwischen ließ wenig Zweifel übrig.

Blieben also Matthias, Daniel und Niels Jørgen, die inzwischen alle eher schwierige Endspiele mit Wenigerbauern zu verteidigen hatten. Um es kurz zu machen: Matthias und Niels Jørgen gelang es, Daniel leider nicht, somit stand heute ein 6:2 und damit unser höchster Landesligasieg bis mindestens April zu Buche. Und in jedem der drei Nichtsiege war zeitweise mehr drin (bei Andrei aber auch mal weniger). Aber die fehlende Spannung war uns heute egal, mit dem Sieg beförderten wir uns von den Abstiegsrängen weg, und das Ligaorakel hatt statt 78% auf einmal nurmehr 23% Abstiegswahrscheinlichkeit für uns im Angebot – nicht zuletzt, da auch die höheren Ligen so spielten, dass ein dritter Absteiger immer unwahrscheinlicher wird. Was allerdings über den dicken Daumen immer noch ein Viertel ist, sicher ist anders. Aber wir haben es jetzt selber in der Hand. Und, um es mit den Gewürzmädels zu sagen, wir wirklich, wirklich, wirklich wollen zickezacke ha!

GM-Norm-Träger Carlstedt hat damit im Übrigen zum dritten Mal hintereinander das Ergebnis auf den halben Punkt korrekt prognostiziert (mit dem kleinen Caveat, dass gegen Marmstorf die falschen gewonnen haben). Wir hoffen jetzt auf gut gezielte Voraussagen unseres Trainers für die letzten beiden Runden. Silke hingegen hofft, dass sie jetzt nicht jedesmal mitmuss, aber ich fürchte, da führt kein Weg dran vorbei.

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