Ein Bericht unter Protest

Der Unterschied zwischen Donald Trump und dem SV Diagonale-Harburg ist ja bekanntlich, dass ersterer damit leben muss, dass sich Tic Tac deutlich von ihm distanziert, während letztere mit der Taktik so ihre Probleme haben. Und letzteres sollte zum Auftakt der Landesligasaison 2016/2017 auf den Prüfstand, denn eines nehme ich vorweg: es waren heute nicht acht Mal vorsichtiges Abtasten und Sicherheitsremis angesagt. Da hatten wir Diagonalesen und die Königsspringerianer ganz andere Ideen.

Und ideenreich spielten heute Christian gegen Michael Wolter (2118 DWZ/2168 Elo), Christoph gegen Jochen Cremer (2102/2144, diese Partie schreibe ich schon einmal in die Vorlage fürs nächste Jahr, gefühlt spielen die immer gegeneinander), Matthias gegen Eugen Raider (2012/2016), Gregor gegen Alexander Spät (2064/2002), Martin gegen Mathis Pfreundt (1920/1860), Marten gegen Marc Lohse (1969/1963), Etienne gegen Max Hort (1936/1905) und Marcel gegen Detlef Lemke (1834/1862). Beide Mannschaften also spürbar löchrig gegenüber der bestmöglichen, aber die Löcher ziemlich ähnlich verteilt, sodass es sich ausglich.

Wobei das mit dem „spielten“ dem eingeweihten Leser merkwürdig vorkommen sollte, und zu Recht, denn natürlich waren Eugen und Alexander zum Anpfiff noch nicht da, kamen aber rechtzeitig kurz vor Toresschluss unter Zuhilfenahme eines Taxis. Zu diesem Zeitpunkt hatten die anderen das Spielen bereits begonnen und besonders die Bretter 3 und 5 ließen den Zuschauer staunen (okay, Brett 3 erst kurz später, aber wirklich ziemlich kurz):

Matthias durfte gegen Eugen in einem etwas improvisiert wirkenden Sizi-Flügelgambit-mit-Königsgambit-Allüren volle Kraft voraus (nach drei weißen Zügen hat meine zugegeben etwas limitierte Datenbank nur zwei Vorgängerpartien, Capablanca und Bird mit den weißen Steinen, wobei Capablanca verlor – aber auch das war nach nur einem Zug mehr eine andere Partie), und mit schwarzem Lh4, Bg3, Sf2 rochierte Weiß dann kurz. Da musste doch was gehen? Andererseits weiß Eugen tendenziell, was er tut. Außer wenn nicht.

Martin hingegen stellte erst einmal durch ein sattsam bekanntes Motiv Qualle und Bauern ein. Nur dass es natürlich nicht eingestellt war, sondern eine Variante, die wir schon diverse Male für diverse Gegner vorbereitet hatten, und die nun endlich einmal aufs Brett durfte. Wie sich herausstellen sollte, kannte Mathis die allerdings auch. Hier wurde also Theoriewissen ausgetauscht, wer zuerst abweicht dürfte Probleme haben – wenn der Gegner das dann umsetzen kann.

Ebenfalls ziemlich hoch her ging es dann bei Christoph, der einfach mal eine Figur ins Geschäft steckte. Okay, so dramatisch war es nicht, die würde sicher zurückkehren, aber würde danach auch Bauerngleichstand herrschen? Ziemlich sicher doch nicht. Also musste die etwas aktivere Stellung dann Dividenden bringen.

Und Marcel ließ sich dann auch nicht lumpen – er nahm eine ungünstige zentrale Königsstellung in Kauf, verbunden mit schwachem Bauern auf der halboffenen d-Linie, um in eine aufgepflückte schwarze Rochadestellung schielen zu dürfen. Aber macht er nicht schnell aus, ist auch schnell aus.

Eher konservativer waren da zunächst die anderen vier Bretter. Christians Aufbau schien mir recht unorthodox, ganz verstanden, was er wollte, hatte ich da nicht, Gregor hatte eine zu diesem zugmäßig frühen Zeitpunkt ziemlich ungregorianische Partie ohne übermäßiges Feuer, bei mir waren heterogene Rochaden und zwar fing mein Gegner mit Königsflügelangriff an, aber mir schienen da nicht genügend Figuren beteiligt zu sein, sodass ich mich mit meinem langsameren aber nachhaltigeren Damenflügelvormarsch durchaus wohlfühlte. Gewisse Engines wagen da zwar eine andere Meinung zu zu äußern, aber zum einen fehlt denen der strategische Blick, zum anderen war es auch nicht dramatisch. Und bei Etienne wuchsen Ansätze von Schachtelhalmen auf dem Brett. Er stand deutlich defensiver und mir war keine Idee des Herauskommens klar, allerdings auch nicht, wie weiß das aushebeln wollte.

Etwas unvermittelt, insbesondere für mich, kam es dann an meinem Brett doch zu einem taktischen Einschlag. Ein Springeropfer konnte nicht angenommen werden, und normale Antworten würden nur zu einer Partie mit Wenigerbauern ohne Angriffschancen führen. Da kam „Mein Magischer Moment“ (übrigens der Name eines Kräutertees). Ein Damenausfall würde matt drohen. Zwar konnte die Dame dann eigentlich einfach herausgenommen werden, aber irgendwas ist ja immer. Obendrein hätte ich dann Springergabel und nach viel hin- und hergeschlage müsste ich doch die Dame zurückbekommen und eine Figur mehr haben? Ganz durchrechnen konnte ich es zwar nicht, aber bevor man eine einfach nur schlechte Stellung stundenlang verteidigt… Tatsächlich war der Zug korrekt und drei Züge später hielt schwarz die Uhr an, 12:45h und 1:0 für die Diagonale. (Matthias möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich deutlich gesagt hatte, nicht gegen Königsspringer spielen zu wollen – nicht wegen der Leute, aber ich hatte nicht gerade viel Glück die letzten Jahre, auch wenn das nur einmal auf dem Schachbrett war – und er mich unter Protest erfolgreich gezwungen hatte.)

Leider währte der Vorteil erst einmal nur kurz, da Marcels Angriff nur durch Bauernunterstützung fortführbar war, und er dadurch seine Figuren von (a) seinem König und (b) den schwarzen Schwerfiguren abschnitt, die lospolterten, und schon stand es 1:1. Vater und Mutter Heymuth, die zum Zuschauen da waren, wussten schon warum sie zwischendurch zum Dubrovnik auf einen Drink flüchteten. (Weitere Zuschauer heute waren Vater und Tochter Laugwitz)

Ziehen wir mal Bilanz an den anderen Brettern: Christians Stellung gefiel mir gar nicht, ich sah zwar nichts, aber irgendwie war das kein Aufbau, den ich klassisch anzustreben pflege, so mit Db8 und Tc7. Bei Christoph schien mir hingegen die Waagschale deutlich zu seinen Gunsten auszuschlagen. Zwar ein Bauer weniger, aber sehr viel Initiative, das musste der locker wert sein. Auch bei Matthias sah ich nicht, wie Eugen sich halten wollte. Man musste sich als Wasmuth nun nur entscheiden ob man wenig oder viel mehr haben will, bei letzterem aber Angriffsoptionen für weiß öffnet. Gregor stand unklar, etwas Schärfe war drin, aber es brannte jetzt nicht, wohl alles im Lot, allerdings mit deutlichem Zeitvorteil dank der schwarzen Ankunftsverspätung. Bei Martin war Mathis nach diversen Zügen abgewichen und Martin schien Ideen für Gegenspiel zu haben. Schließlich fiel auch eine zweite Figur für den Turm ab, spätestens ab jetzt musste das gut sein, wobei solchermaßen offene Stellungen natürlich auf beiden Seiten auch immer für überraschende Taktiken gut sein können. Und Etienne schließlich schien sich langsam zu befreien, zwar immer noch etwas passiver, aber mit zunehmender Atemluft.

Matthias war als nächster fertig. Er entschied sich für die Variante „viel mehr haben“, nahm ein Eugenieskes Damenopfer an, übersah aber eine Variante und ließ sich doch lieber Dauerschach setzen anstatt zu riskieren, unterentwickelt von TLLS getötet zu werden, was wohl korrekt war. Die Variante „weniger nehmen“ war nach erster Analyse zwar besser, aber nicht so sehr, wie gedacht, letztlich war das wohl nicht aus der Remisbreite raus, zur allgemeinen Überraschung. 1½:1½ nach drei Stunden.

Jetzt ging es jedoch erst einmal Schlag auf Schlag. Christian stand nicht nur an sich schon unschön, er wollte auch unbedingt noch eine Qualität verlieren. Sollte man gegen Michael einfach nicht machen, 1½:2½. Christoph hingegen hatte bereits mehrere Gewinnideen, spielte eine andere, aber Jochen flog langsam aber schnell komplett auseinander. 2½:2½. Martin musste sich einiger pfreundtlicher Angriffe erwehren, konnte aber in ein Endspiel DS4B gegen D3B abwickeln, und nach Ausschalten der gegnerischen Dauerschachdrohungen selber souverän den weißen Monarchen ins schnaufen bringen, bis Damentausch unabwendbar und damit die Partie wirklich endgültig endgültig entschieden war. 3½:2½ und gerade einmal knapp 4 Stunden gespielt – für unsere Verhältnisse ein Blitznachmittag.

Aber keine Angst, das lange Ende kommt noch in Form von Gregor und Etienne. Eine Stunde passierte erst einmal nichts. Also auf der Anzeigetafel. An beiden Brettern passierte schon eine Menge – Etienne konnte weitere Luft holen, allerdings kostete das einen Bauern. Nach vielen Täuschen dann ein ungleichfarbiges Läuferendspiel. Aber mit Wenigerbauer. Und diesem Endspiel konnte man ansehen, dass nicht jedes ungleiche sofort remis sein muss. Vielleicht war es das zu diesem Zeitpunkt, aber Weiß hatte viele konstruktive Ansätze für Hebel, Durchbrüche und Eindringlichkeiten. Etienne hat zwar durchaus Kenntnisse der Endspielprinzipien, aber hier muss er höllisch aufpassen. Spannend. Leider.

Gregor hingegen schien sehr annehmbar zu stehen, bei besserer Zeit gewann er eine Qualität, aber geriet etwas unter Feuer. Es wogte hin, es wogte her, das zu verstehn ist mir zu schwer. Bei jedem Blick aufs Brett eine andere Stellungseinschätzung, zwischen „locker gewonnen“ und „total platt“ bis hin zu „unabwendbares Dauerschach“ sah ich alles. Wohl zu unrecht. Aber irgendwann hatte jeder noch D und T und drohte eifrig, viel kann hier passieren. Türme wurden getauscht – und Gregor hatte einen entfernten Frei- gegen einen Doppelbauern. Das muss doch zumindest gewonnen sein, wenn nicht mehr, oder? Aber Damenendspiele…

… können mal eine Stunde dauern. In dieser verschwand bei Etienne ein Gegnerbauer, materiell also erst einmal Ausgleich, allerdings auf Kosten zweier verbundener Freier. Etienne hatte auch zwei, aber die standen hintereinander, das war nicht so gut wie nebeneinander. Bei Gregor verschwanden zwei Bauern, sodass jetzt Dame und a-c gegen Dame und a-c stand. Nach Damentausch war das Bauernendspiel auch nicht so trivial remis, aber letztlich doch, 4:3 und zumindest schon einmal ein Mannschaftspunkt gegen den Favoriten und Angstgegner. So schlimm ist dieser Sonntag gar nicht.

Und das Läuferendspiel? Es sollte auch noch eine knappe Dreiviertelstunde dauern. Eine knappe Dreiviertelstunde in der zunächst jeder von einer für weiß klar gewonnenen Stellung ausging (er hatte inzwischen einen der Doppelbauern schlagen können, das war aber ziemlich sicher unwesentlich), bis erste Zweifel kamen und auf jede Gewinnidee eine schwarze Abwehridee gefunden wurde. Bis schließlich die Bauern endgültig durch den Läufer blockiert werden konnten und auch der König an allen Eindringideen gehindert wurde, noch ein Remis, 4½:3½.

Damit können wir durchaus mehr als zufrieden sein. Immerhin ist Königsspringer 2 seit wir landesligieren nicht nur immer gegen uns erfolgreich gewesen, sondern auch gegen die meisten anderen, wurde einmal dritter, einmal zweiter und zwei Mal Hamburger Meister (wobei die erste Mannschaft in der Oberliga den Aufstieg verhinderte).

Und auch individuell dürfen die meisten lächeln. Gut, Christian nutzte zur Beschreibung seines Saisonauftaktes Vokabeln, die man in der Gegenwart von Elizabeth II nicht verwenden sollte, und Marcels Idee ging wohl einfach nicht, aber sonst war das erfolgreich. Extrem souverän letztendlich Martin, auch sehr gut Christoph, das Opfer war zwar eventuell nicht ganz korrekt, aber effektiv, und danach kannte das Spiel nur eine Richtung. Bei mir war zunächst viel los, aber dass ich den entscheidenden Zug gesehen hatte, darauf bin ich schon ein bisschen stolz (und dass ich ein anderes Gegenmotiv komplett nicht sah, bleibt jetzt unerwähnt, ging schließlich nicht). Etienne mit einer starken Partie, insbesondere beim stundenlangen Verteidigen eines mühseligen Endspiels. Bei Matthias ging letztlich wohl nicht mehr, aber mit schwarz kann man sich über ein Remis aus der Stärke in einer gegnerischen Spezialvariante auch einmal befriedigt zeigen. Und bei Gregor müsste man mal tiefer reinschauen. Mit Sicherheit viel sehr gutes, eventuell irgendwo eine Gurke. Aber darauf können wir aufbauen.

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